Anonymität in der Politik: Ich hab ja nichts zu verbergen – oder doch?

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Immer erreichbar, immer aktiv, immer erlebbar: In der Politik gibt es den weitverbreiteten Glauben, möglichst viel von sich preisgeben zu müssen, um authentisch und nahbar zu wirken. Ein Irrglaube. Aber auch eine große Gefahr: Täglich setzt sich Politik damit dem Risiko aus, manipulierbar zu sein. Das erkennen aber nur die wenigsten.

 

Viele wollen gerne im Internet anonym bleiben, aber gilt das auch im Falle eines öffentlichen Amts in der Politik? Anonymität im Internet hat viele gute Gründe, sei es, um sich vor Belästigungen zu schützen, um private Daten vertrauenswürdig zu verwalten oder um heikle persönliche Situationen zu bewältigen. Wir alle profitieren von der Möglichkeit, anonym online zu bleiben.


Im Zeitalter der sozialen Medien, wo manche in der Politik vom Frühstücksbrot bis zur Nachtlektüre alles von sich preisgeben, ist der Druck auf Politiker:innen hoch, mitzuhalten und möglichst viel von sich preiszugeben. Dazu kommt eine gewisse Erwartungshaltung, wenn Steuermittel und so viel Entscheidungsgewalt im Spiel sind. Zudem heißt es ja: Wer nichts zu verbergen habe, müsse sich auch vor nichts fürchten.


Das hat aber kardinale Denkfehler. Natürlich müssen auch Menschen in der Politik das gleiche Recht auf Anonymität genießen. Und das aus drei Gründen:


  • Das tägliche Teilen von privaten Inhalten ist ohnehin nicht erfolgreich in den sozialen Medien – ganz im Gegenteil, es schadet massiv der Reichweite!
  • Gerade Politik ist im Fokus von Cyberkriminalität – hier gilt es eigentlich, Daten und Informationen besonders zu schützen!
  • Es geht gar nicht darum, etwas zu verbergen, sondern etwas viel Wichtigeres: Sich vor Manipulation zu schützen!


Gerade der letzte Punkt wird viel zu selten beleuchtet und ist mit eine der größten Gefahren. Zeit, dass wir das nachholen.

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Teil 1: Die falsch verstandene Transparenz


Die Politik vertritt die Bürger:innen und muss stets in deren besten Interesse handeln. Deshalb herrscht oft die Auffassung, dass Abgeordnete volle Transparenz an den Tag legen müssen. Das Ziel ist, sie als glaubwürdig, ehrlich und zugänglich zu erleben.


So zeigen viele Abgeordnete im Internet, was sie täglich tun, geben aber manchmal auch private Details preis, um nahbar und ansprechbar zu erscheinen. In der Tat tun dies viele von ihnen nicht aus eigener Überzeugung, sondern aus dem Glauben, dass es sein müsse. Transparenz im Netz, so wird oft geglaubt, gehöre zu einem politischen Amt einfach dazu.


Dahinter steckt aber auch eine selbsterfüllende Prophezeiung: In der Annahme, dass in „der Politik alle faul sind“, wird besonders eifriges Treiben dokumentiert. Das mündet in ein permanentes Verkünden aus der Ich-Perspektive: Ich in der KITA, ich im Ausschuss, ich auf der Demo. Der Mehrwert dieser Infos für Lesende ist gleich null, denn sie erkennen nicht, was sich dadurch für sie im Alltag verbessert. Vielmehr heißt es: Schau mal, die quatschen den ganzen Tag und nichts passiert.


Dazu kommen handwerkliche Risiken, wie das Vermengen von privaten Facebook-Profilen und Instagram-Konten mit der eigenen beruflichen Reichweite, das Verknüpfen mit WhatsApp-Konten von privaten Handys oder auch gerne mal umherschwirrenden privaten Telefonnummern – schon oft konnten wir, ohne böse Absicht, auf kleinen Ortsverbands-Webseiten die privaten Handynummern von Bundestagsabgeordneten finden – die dann durchaus verdutzt am anderen Ende der Leitung reagierten, woher wir denn die Nummer hätten.

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Teil 2: Verhaltenspsychologie: Was die Politik zu verbergen hat

 

Drehen wir den Spieß nun um und versuchen möglichst alles zu schützen, stellen wir recht schnell fest: Das ist gar nicht mal so einfach. Vor allem, wenn es um den Schutz vor Manipulation geht. Nehmen wir mal das Beispiel der personalisierten Werbung: Kaum sucht man im Netz nach einem Produkt, sieht man überall Anzeigen für dieses Produkt, auch auf anderen Webseiten. 


Mit anderen Worten: Früher haben wir Werbung als lästig empfunden, die uns überhaupt nicht angesprochen hat. Heute werden wir von Werbung belästigt, die uns tatsächlich interessieren könnte. Und nein, niemand ist gegen Werbung immun.


Die Landkarte unserer Internetaktivitäten

 

Doch es geht dabei nicht nur um unser Kaufverhalten. Viel interessanter sind die Menschen hinter den Online-Suchen mit ihren persönlichen Überzeugungen, Aktivitäten und Meinungen. Personalisierte Werbung gibt es nämlich auch auf politischer Ebene, wie der Skandal um Cambridge Analytica zeigte. Die Sache ist so ernst, dass mittlerweile auch die EU der personalisierten Werbung den Kampf angesagt hat.

 

Um personalisierte Werbung zu schalten, analysieren Plattformen ständig unser gesamtes Internetverhalten, erstellen entsprechende Persönlichkeitsprofile und verkaufen diese anonymisiert an Werbetreibende. Im Prinzip entstehen so hochkomplexe Listen über uns, die wir jeden Tag freiwillig ergänzen und verfeinern.

 

Die verschiedenen Plattformen sammeln unsere Verhaltenshistorie dabei mit jeweils unterschiedlichen Methoden: Bei Facebook basiert das auf dem Verhalten des Profils, bei Google aufgrund unserer Suchanfragen. Beide Plattformen nutzen auch Möglichkeiten, um unser Interagieren auf Webseiten durch so genannte "Pixel" ergänzend zu erfassen – einige wenige Zeilen Code verfolgen uns dabei auch außerhalb der Plattformen: wo wir klicken, was wir kaufen, was wir weiterleiten, usw.

 

Übrigens: Auch wer kein Profil in sozialen Netzwerken besitzt, kann dennoch über die IP-Adresse vom internetfähigen Gerät (PC, Smartphone, Tablet) zugeordnet werden. Auch Texte in E-Mails und Messenger-Diensten können gelesen und ausgewertet werden.

 

Psychologische Verhaltensanalyse im Netz

 

Hinter dem ganzen stecken komplexe Vorgänge der Verhaltenspsychologie: Mithilfe von Wahrscheinlichkeitsrechnung wird ermittelt, was unser bisheriges Verhalten darüber verrät, wie wir uns auch künftig verhalten werden. Und auch, wenn kein Verhalten zu 100% vorhergesagt werden kann, reicht es, bei etwa 10.000 Menschen mit möglichst hoher Trefferquote die gewünschte Reaktion zu erzielen.

 

Dennoch gibt es Dinge, die unser Verhalten im Internet direkt verraten: Wer nach einem Wickeltisch, Büchern über Mutterschaft und Windeln sucht, erwartet wahrscheinlich ein Baby. 

 

Etwas komplexer wird es schon, wenn wir bspw. das zukünftige Internetverhalten vorhersagen wollen: Wer lange und viele Kommentare zu bestimmten Themen in sozialen Medien schreibt, zeigt sich dadurch getriggert und kann so an die Plattformen gebunden werden. Das wissen die Plattformen und zeigen der Person immer mehr Artikel zu ähnlichen Themen an, damit diese noch mehr Zeit auf der Plattform verbringt – und noch mehr Werbung angezeigt bekommt. 

 

Noch stärker um die Ecke gedacht ist es bei politischer Manipulation zu erleben: Eine Person, die viele Bilder ihrer Kinder teilt und Nachrichten über Verbrechen an Kindern liest, macht sich Sorgen um ihr Kind. Daraus folgt, dass diese Person womöglich empfänglicher für politische Botschaften ist, die auf Angst und Hass basieren (z. B. Asylpolitik). Genau so agieren bspw. sogenannte Trollfabriken, die etwa aus dem Ausland die politische Debatte eines Landes aufheizen wollen.

 

Die Fallen der Emotionalität


Daraus lässt sich festhalten: Die sozialen Medien binden uns durch die Erzeugung von Emotionalität, damit wir dadurch mehr Zeit auf ihnen verbringen und mehr Werbung konsumieren. Zudem kommt, dass wir durch diese Emotionalität nachweislich weniger rational handeln:

 

  • Wir kaufen mehr und dazu oftmals unnütze Sachen
     
     
  • Wir vertrauen mehr dubiosen Quellen, wenn sie bestehende Vorurteile verstärken
     
     
  • Wir streiten viel häufiger, viel länger mit Fremden und sind viel weniger bereit, zuzuhören

 


In solchen Situationen lassen sich die Menschen leicht von ihren Gefühlen leiten, ohne sich ihres Verstands zu bedienen und die Logik ihrer Entscheidungen zu hinterfragen. Der wirkungsvolle Einfluss von Emotionen und die Fähigkeit, solche zu erzeugen und zu manipulieren, ist das größte und bedeutsamste Merkmal des heutigen Internets. 

 

Einfluss auf die Politik

 

Genau diese Manipulation ist eine der größten Gefahren für die Politik. Da Politiker:innen unmöglich alles wissen, alles erfassen und alles (v)erarbeiten können, müssen sie mit wichtigen Informationen versorgt werden, welche andere für sie zuvor filtern. Wenn dieses Filtern durch die emotionalisierenden Algorithmen der sozialen Medien erfolgt, droht ein falsches Bild von Prioritäten und Situationen. Auch steigt das Risiko, möglicherweise weniger reflektiert zu handeln.

 

Daher sind die Inhalte, mit denen sie täglich konfrontiert werden, entscheidend dafür, dass sie eine klare und unerschütterliche Vorstellung von ihrem politischen Handeln haben. Nur so können sie sicherstellen, dass eine Debatte tatsächlich die Bedeutung bekommt, wie sie bspw. in der Bevölkerung auch diskutiert wird.

 

Es geht also auch in der Politik nicht darum, ob wir etwas zu verbergen hätten. Vielmehr geht es darum, nicht manipulierbar und nicht kompromittierbar zu sein. Eine stabile Politik braucht daher ein souveränes digitales Ich. Und dieses wird geschaffen und erhalten, wenn bestimmte Informationen über uns, unser Verhalten und unsere Situation anonym bleiben. 

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Teil 3: Was wir tun können


Neben den umfangreichen Maßnahmen, welche wir auch in unseren Workshops thematisieren, sollte die Politik grundsätzlich zwei Themen im Auge behalten: Die richtigen Einstellungen in den sozialen Medien und der Schutz vor der Sammelwut der Plattformen („tracking“). Damit wäre schon einmal viel geholfen.

 

Die richtigen Einstellungen in den sozialen Medien

Es ist sehr wichtig, private Profile und politische Seiten voneinander getrennt zu halten. So lassen sich Informationen besser filtern und Inhalte zielgruppengerecht teilen. Soziale Netzwerke bieten dafür auch spezielle Funktionen an. Bei Facebook ist es die Trennung zwischen "Profil" und "Seite". Bei Instagram heißt das Äquivalent "Konto" und "Unternehmenskonto" oder "professionellem Konto". 


Bei Facebook ist zudem ein privates Profil, an dem die politische Seite gebunden ist, verbindlich erforderlich. Es ist dabei zu empfehlen, alle Beiträge und Informationen auf "Freunde" umzustellen, so dass nur angenommene Facebook-Freunde Einsicht in die veröffentlichten Inhalte haben. Übrigens bietet Facebook bei der Umstellung an, auch rückwirkend alte Beiträge umzustellen. Mit der Option "Anzeigen als..." lässt sich zudem überprüfen, wie das eigene Profil für andere aussieht, um notwendige Anpassungen vorzunehmen. Einige Inhalte können auch nicht nachträglich ausgeblendet werden, wie z. B. alte Profilbilder, daher ist es besser, sie einfach zu löschen. 


Dazu ein weiterer Hinweis. Selbst bei sorgfältigen Privatsphären-Einstellungen sollten sämtliche Angaben zu Kindern, Familie, Wohn- oder Urlaubs- bzw. Freizeitorten nach Möglichkeit komplett vermieden werden. Auf keinen Fall sollten solche Informationen ihren Weg auf die politische Seite finden oder auf Umwegen im privaten Profil von Unbekannten zu finden sein.

 

Schutz vor der Sammelwut der Plattformen („tracking“)

 

Damit die sozialen Netzwerke und Suchmaschinen nicht alles bis ins Detail nachverfolgen und erfassen können, braucht es zudem weitere Lösungen: Das sogenannte „Tracking“ können und sollten wir auf unseren Geräten weitestgehend einschränken.

 

Auf Smartphones und Tablets kann der Zugriff auf verschiedene Gerätefunktionen durch App-Einstellungen eingeschränkt werden. Kamera, Mikrofon, Fotos, Kontaktliste, Nachrichten und Standort sind die üblichen Verdächtigen, da sie eine Menge privater Informationen enthalten. Wenn wir zudem die neuesten Versionen der Betriebssysteme (zumeist iOS oder Android) nutzen – was wir sollten – werden wir oftmals gefragt, ob wir das Tracking aktiv erlauben wollen. Hier gilt es, zunächst alles abzulehnen und erst einmal zu schauen, ob dadurch tatsächlich Nachteile in der Nutzbarkeit der App entstehen.

 

Auf dem Laptop oder PC sollten für den Browser sogenannte „Erweiterungen“ genutzt werden Sie können auf Firefox, Chrome oder Microsoft Edge installiert werden, um die Auslese von Daten aus diesen Programmen zu verhindern. Außerdem blockieren einige Erweiterungen auch Werbung und andere Inhalte, sogar ganze Websites. Zur Verschleierung der IP-Adresse bieten sich zudem VPN-Dienste an. Mehr dazu finden Sie hier.

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Kleiner Tipp: Augen auf bei mobilen Spielen und Facebook-Quizzes

 

Ganz besonders gilt es, sich bei mobilen Spielen zu schützen, die oft kostenfrei sind. Eine oft unterschätzte Kategorie sind dabei Facebook-Quizzes, bei denen es etwa um „Welcher Disney-Charakter bist du“ geht.

 

Diese Drittanbieter-Apps, die innerhalb von Facebook agieren, erbitten dafür oft den Zugriff auf die Profildaten und stellen zudem ein paar scheinbar harmlose Fragen. Die Ergebnisse gleichen dann meist eher austauschbaren Horoskop-Texten, aber sind mitunter dennoch lustig und werden oft geteilt. Doch irgendwie müssen sich diese Dienste ja finanzieren und die Antwort ist: Verkauf an Dritte oder schlichtweg noch mehr personalisierte Werbung.

 

Was viele nicht wissen: Dieser Zugriff von Drittanbietern erlischt nicht, nachdem man das Ergebnis hat – sondern bleibt fortan bestehen. Und sammelt und sammelt und sammelt. Das Positive: Facebook ist hier etwas aktiver geworden und dreht den Drittanbietern nach sechs Monaten Inaktivität zumindest den Zugang wieder ab. Aber bedenken wir einmal, was man alles durch sechs Monate Kompletterfassung herausfinden kann.

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In unseren Workshops erhalten Sie alle wichtigen Informationen zum Thema Anonymität im Netz. Sie lernen den sicheren Umgang mit Messengern, sozialen Netzwerken, Browsern und vielem mehr. Sie erfahren, was ein souveränes digitales Ich ausmacht und wie Sie es gestalten können. Melden Sie sich am besten gleich bei uns und erfahren Sie mehr.

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