Der politische Alltag 2025 - So könnte er aussehen

Uns hat eine Nachricht aus der nahen Zukunft des Jahres 2025 aus einem Kreistag erreicht. Und was sollen wir sagen? Hier scheint die Digitalisierung im politischen Alltag richtig gut funktioniert zu haben. Ihnen und uns gibt die Nachricht einen Einblick, wie es tatsächlich gelingen kann und welche Vorteile, aber auch Auswirkungen die neuen Möglichkeiten haben. Und ganz vielleicht haben wir uns die Nachricht nur ausgedacht.

Gleich beginnt die Kreistagssitzung. Heute wird es spannend, denn wir haben uns mit der Bürgerinitiative im Vorfeld zu zwei gemeinsamen Anträgen abgestimmt, was sicherlich die anderen überraschen dürfte. Vor allem unseren Bürgermeister, der es mal wieder nicht für nötig erachtete, die Fragen aus dem Ausschuss mal wenigstens halbwegs ausführlich zu beantworten. Trotz PoliGPT ist alles beim Alten: Wenn er nicht will, will er nicht. Aber grundsätzlich stellen wir ja nur noch Fragen, deren Antworten wir bzw. unsere KI bereits kennen. Ob er bereit ist? Wir sind es auf jeden Fall.

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Ich öffne meine Unterlagen. Unsere Finanzexpertin Heide hatte mit unserem Jungspund Jason von der Bürgerinni noch letzte Änderungen gemacht, damit uns die Kämmerin nicht an der Nase herumführt. Der Antrag war lange bekannt, aber jetzt sehen auch die anderen auf ihren Bildschirmen, dass wir hier zusammen noch Änderungen vorgenommen haben. “412 Bürger:innen gefällt das”, wird jetzt oben eingeblendet – geht doch! Ich bringe unseren Antrag ein, so wie es mir PoliGPT vorgeschlagen hat. Ich hatte das LLM gebeten, aus den kritischsten Aussagen aus den Ausschüssen sowie den Kommentaren aus dem Ratsinfo-System von Bürger:innen die beste Argumentation zu erarbeiten.


Ich beginne: “Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Damen und Herren, wie wir bereits dargelegt haben, sind unsere Analysen zur Bevölkerungsentwicklung eindeutig zum Schluss gekommen, dass wir deutlich mehr Kinder zu erwarten haben, als in den bisherigen Prognosen vorgesehen. Wir schätzen die Erfahrung der Verwaltung hier sehr, allerdings wird es Zeit, dass wir hier endlich moderne Methoden anlegen.”


Ein verächtliches Stirnrunzeln entfährt dem Referatsleiter für Kultur und Bildung. Er macht seinen Job seit 27 Jahren, seine Prognosen hatten bis jetzt immer fast auf die Kommastelle gestimmt. Nur in 2024 fehlte dann auf einmal eine ganze Schulklasse und es kam zu einer sehr unschönen Notlösung mit 35 Kindern pro Klasse. Im Ausschuss hieß es, dass solche Krisenzeiten eben mal passieren könnten. Ich kannte diese Argumentation schon, obwohl ich beim Ausschuss nicht dabei sein konnte. Aber die Zusammenfassung von PoliGPT der Debatte reichte mir schon, sodass ich reagieren konnte: “Wir leben in einem Jahrzehnt der multiplen Herausforderungen. Dank unseres Analysetools PoliDATA müssen wir aber nicht ständig im Ausnahmezustand leben – wir können vorbereitet sein!”


Unser Student vom Dienst, Martin, erfolgreich im 17. Semester Politikwissenschaften auf Lehramt, fing an über beide Ohren zu grinsen. Ich wusste genau, was er jetzt denkt: Jetzt kommts! Er hatte uns das Tool gezeigt, mit dem man ganze Regionen und seine Strukturen erfassen kann: PoliDATA. Das System lernt permanent und kann um Koeffizienten mit Titeln wie “Migration in Kriegszeiten”, “Geburtenprognosen im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Entwicklung” oder auch “Entwicklung von Regionen entlang von regionalen Wachstumschancen” mit einberechnen. Da das System weltweite Bewegungen verfolgt, erzeugt es erstaunlich genaue und mitunter völlig neue Hinweise. Selbst Harald, der echt keine Lust auf “dieses Gebimmel und Gewische” hat, wie er sein Tablet liebevoll umschreibt, war begeistert. Ich glaube, er spielt damit mittlerweile mehr als an seiner Eisenbahn, wenn er von seiner Arbeit kommt.


“Eine permanent im Ausnahmezustand befindliche Kommune bietet wenig Zuverlässigkeit, Perspektive und auch Mitsprachemöglichkeit”, setze ich bedeutungsschwanger fort. “Sie rennt den Ereignissen permanent hinterher und untersetzt damit unsere Demokratie. Wir alle sehen doch, wie der Ton hier im Kreistag immer rauer wird, erinnern uns noch zu gut an die letzten Wahlergebnisse. Unsere Daten zeigen klar: Das geht auch nicht wieder weg. Was wir brauchen, ist ein starkes Signal, dass Politik auch Lösungen unter Dauerbelastung produzieren kann.” Zugegeben, ich bin etwas stolz auf mich. Meine pathetische Ader wirkt auf einige arrogant, aber wäre ich in der Politik, wenn ich mich nicht manchmal gerne selber reden hören würde?

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Wissend, dass viele aus der Bevölkerung die Kreistagssitzung online verfolgten, ging ich auch noch auf Aussagen aus den Ausschüssen ein. Seitdem der Sitzungsdienst einen Chatbot eingerichtet hat und wir diesen alle immer wieder trainierten, verstehen viel mehr Leute, worum es geht und welche Positionen die einzelnen Leute haben. Da wir diesen auf unseren eigenen Servern laufen lassen, telefoniert der auch nicht zu den Großkonzernen, das war unserem Datenschutzbeauftragten wichtig.


Ich erklärte also, warum wir 37 Kinder bis 2032 mehr sehen und dringend einen Neubau unseres dienstältesten Gymnasiums bräuchten. Es sei davon auszugehen, dass die Umweltkrise sowie die verstärkten Konflikte weitere Zuwanderung mit sich bringen würden. Auch könne ein Neubau gleich die notwendige Lüftungsanlage sowie Digitalisierung im Klassenraum mit sich bringen, um etwa auf die nächste Gesundheitskrise vorbereitet zu sein. Als Standort konnte uns PoliDATA einen echt spannenden Ort zeigen, den so niemand zuvor gesehen hat. Statt sich an den bisherigen Planungsbüros zu orientieren, die bis heute stark aus Sicht von Autos denken, wäre ein intelligentes Radwegenetz sicher und schnell und zudem ideal für 83,72% der Schüler:innen am Gruscheberg geeignet.


Am Ende ist Politik aber auch immer noch Politik. Da wir uns im Vorfeld extrem gut abgestimmt hatten – danke Martin, dass du bei uns PoliTEAMS eingeführt hast! - gingen unsere Anträge sauber durch. Unsere Instagram-Postings konnten mit den letzten Details schnell rausgehen, die automatische Transkription der Debatte erzeugte einen tollen Artikel für unseren Blog. Seitdem wir hier eher ausgeglichen und zeitnah informieren, sind unsere Klickzahlen in die Höhe geschnellt – unsere Positionen kommen ja weiterhin vor. Wer will, kann sich den Artikel natürlich auch anhören oder auch anschauen. Wobei ich mit meinem erzeugten Avatar immer noch fremdle – wäre ich doch nur immer so munter wie sie!


Der zweite Antrag kam von der Bürgerinnitiative. Das war der Deal, dass wir diesem ebenso zustimmten. Sie wollten vernetztes Carsharing bei uns im Kreis einführen. Grundsätzlich wollen wir eigentlich weg vom Auto, aber zumindest wäre das von ihnen eingebrachte bedarfsorientierte Nachbarschaftskonzept ein Anreiz, das private Auto abzuschaffen. Dass PoliDATA ihnen auch das empfahl, zeigte mir noch einmal mehr, dass es trotz vorgeblich neutraler Analysen weiterhin sehr verschiedene Meinungen zu Empfehlungen geben wird. Daten übernehmen nicht den Diskurs, sie ebnen ihn aber auf eine ganz neue Faktenlage. Unsere liebe Fraktion “Früher gabs mehr Lametta”, die noch mit viel Hass und Hetze bei den Kommunalwahlen abräumte, kommt dagegen kaum noch an.


Nach der Sitzung klingelt die PoliTEAMS App. Ich habe es so eingestellt, dass ich noch 30 Minuten nach Sitzungsende erreichbar bin – was so ein Ehrenamt eben mit sich bringt. Unser Ortsvorsitzender Mehmet ist dran. Er beglückwünscht uns zu unserem Coup. Er bekäme viele Fragen aus der Landesgeschäftsstelle, wie wir das angestellt hätten. “Frau Kandidatin, das war eine tolle Rede, die Reaction-Videos auf TukTuk nehmen die anderen Fraktionen mittlerweile richtig hopps!” Da war es wieder, diese Anrede. Seitdem ich im Kreis umherfahre und die Vorteile der Digitalisierung zeige, steht für ihn fest, ich sollte für den Landtag kandidieren. Unsere Mitglieder würden mich mögen, vor allem, die Älteren. Für mich geht das ehrlich gesagt ein wenig zu schnell. Und insgeheim weiß ich auch, dass Mehmet vor allem noch eine Rechnung mit unserem aktuellen Abgeordneten offen hat. Politik halt.


Er gab mir dann noch zwei Bitten mit, die umgehend in meine To Do Liste für morgen reinkamen. Bevor ich den Tag beendete, schaute ich nochmal die Termine und Aufgaben für morgen durch. Ich drückte kurz auf das Mikrofon: “Kannst du bitte mal prüfen, ob Frau Bolzewa morgen auch 16 Uhr kann?” Ich wartete kurz, dass sich unsere Kalender abstimmten. Leider nein, sagte mir meine App. Aber es könnte unsere Termine so strukturieren, dass es bei 15 Uhr bleiben könnte. Bei Frau Bolzewa ploppte es kurz auf, sie klickte auf “Ja” und unsere Kalender waren sich wieder einig. Harmonie 2.0.


Zuhause angekommen fragte mich das System, ob ich noch eine kurze Entspannungsübung machen wollte. Eigentlich sollte ich das wirklich, das bringt mich echt immer gut runter. Aber ich war auch irgendwie zu faul, selbst dazu. Diese ganzen Möglichkeiten der Selbstoptimierung, der ständigen Analyse, des ganzen Ausbalancierens – manchmal war eine Flucht vom ganzen Klimbim der reine Urlaub. Mir ist wichtig, dass ich manchmal einfach abschalte und mal bewusst nicht diese ganze KI nutze, die in unseren Alltag eingezogen ist. Das machen jetzt immer mehr, Der SPÜGEL hat darüber letztens einen großen Artikel geschrieben. Ich lese den gerne, denn hier schreibt nicht nur KI und irgendwie bilde ich mir ein, dass ich das auch merke. Wie mein Bruder, für den nichts an den Sound von Schallplatten herankommt.


Wenn ich noch vergleiche, wie wir vor nur wenigen Jahren gearbeitet haben, bin ich aber dennoch sehr froh, dass wir Projektmanagement nicht mehr per E-Mail oder Messenger-Diensten machen. Da hätte ich mich auch irgendwann verweigert und wäre zu Zettel und Stift zurückgekehrt. Aber der Druck der Populisten und unsere immer schlechteren Wahlergebnisse boten Raum für Leute wie mich, die neue Ideen und neue Methoden hatten. Und ich gebe zu, leicht war es nicht, alle zu überzeugen. Ich hab mir einfach eine kleine Gruppe gesucht, auch aus dem Jugendverband und wir haben dann einfach mal was aufgesetzt.


Dabei haben wir bewusst nicht erst einmal neue Software angeschafft, sondern Prozesse und eine Zeitachse erstellt. Wir haben damit dann auch die anderen überzeugt. Allerdings war uns auch klar, dass das nicht einfach wird, denn wir griffen ja in einen Betrieb ein, der zeitlich hochüberlastet und finanziell echt knapp bestückt war. Aber genau diese Ruhe gab uns die Chance, alle mitzunehmen und Ängste abzubauen. Naja, oder vielleicht waren es auch die in 2 Minuten erstellten Flyer zu unserer Schwimmbad-Petition. Manchmal hilft Zeigen mehr, als sich ewig den Mund fusselig zu reden.


Was mich auch begeistert, ist, wie viele neue Mitglieder sich jetzt beteiligen können, obwohl sie zu den traditionellen Uhrzeiten von Versammlungen gar nicht können oder sie aus beruflichen wie familiären Gründen nicht regelmäßig dabei sein wollen. Sie schreiben an Anträgen mit, obwohl sie nie gelernt haben, wie das nach Kommunalverfassung geht. Durch unser neues Vorschlage-Board in PoliTEAMS bekommen wir viel mehr Hinweise auf kleinere und größere Ärgernisse. Und zwei haben sich zuletzt darauf spezialisiert, tolle Lösungen aus unserem Nachbarbundesland zu verfolgen und auf unseren Ort zu übertragen.


Was natürlich erschlägt, ist die Geschwindigkeit. Wir könnten locker zehn Anträge pro Tag schreiben. Im nächsten Hauptausschuss soll mal geklärt werden, wie wir damit umgehen sollen. Aber wenn ich ehrlich bin, ist unsere Hauptsatzung dafür eigentlich zu klein. Hier muss das Land an der Kommunalverfassung ansetzen. Mein Antrag und die Rede für den kommenden Landesparteitag habe ich schon fertig. Unsere Schwesterpartei in Estland war da mal wieder schneller als wir, die Übertragung ins Deutsche sowie deutsches Recht ist ja mittlerweile gar kein Problem mehr. Als ich darüber letztens mit meinem Pendant im Kreistag von Lääne-Viru telefonierte, bat ich sie, das mal als Video von ihrem Laptop aufzuzeichnen – mein Avatar klang auf Estnisch einfach zu cool!



Anmerkung der Redaktion: Die Autorin verwies in einer ursprünglichen Fassung darauf, dass die kostenfreien Workshops von PolisiN in 2023 den Ausschlag für ihren Erfolg gegeben haben. Allerdings wäre das eindeutig viel zu viel Eigenwerbung gewesen 😉


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